Ein gesellschaftlich anerkanntes Kavaliersdelikt oder doch eher die nackte Wahrheit!
Die Literatur ist gespickt mit charmanten Schwindler, Flunkerern, und Notlüger wie Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, Pinocchio und der Roman von Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Heute der Tag der Wahrheit lädt ein, sich mit den verschieden Perspektiven der Wahrheit auseinander zu setzen.
Theo, ein allseits zu Späßen aufgelegter, coller Typ, ist beliebt und immer gerne bei Festen und am Stammtisch gesehen. Er erzählt gekonnt Geschichten, Witze und Schwänke aus seinem Leben und aus dem der anderen. Alle lachen herzhaft und fühlen sich in seiner Gesellschaft sichtlich wohl. Kaum sitzt er wieder einmal am Stammtisch, so kommt sofort die Aufforderung: „Theo, was gibt’s Neues?“ Und Theo beginnt zu erzählen, während die anderen atemlos seinen Worten lauschen. Ihnen ist es vollkommen egal, ob es erfundene, geflunkerte oder ‚schwindlige‘ Geschichten sind. Oder sind es wahre Begebenheiten? Hauptsache ist sie haben Entspannung und können sich erholen vom Tag.
Theo ist so in seine Geschichten verwickelt, daß er bald selbst nicht mehr unterscheiden kann, ob sie tatsächlich wahr sind oder ob er seiner künstlerischen Freiheit gefrönt hat. Er freut sich daran, daß die anderen sich freuen und vor allem, daß sie ihn offensichtlich gern haben. Und so verliert Theo von Geschichte zu Geschichte den Bezug zu seiner eigenen Wahrnehmung der Wahrheit.
Sprichwörter oder Volksweisheiten gibt es eine Fülle:
- Lügen haben kurze Beine
- Der Schwindler verrät sich durch eine lange Nase.
- Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“
Wie wenn eine lange Nase etwas über eine Tendenz des Menschen zum Lügen aussagen könnte!
Denn dann müßte jeder, der mit einer langen Nase gesegnet ist immer und überall lügen und im Umkehrschluss, der Stupsnasenträger würde nie in seinem Leben lügen.
Und das ist die Wahrheit: Jeder Mensch lügt mehrmals am Tag. Das tun wir nicht immer vorsätzlich. Nein, oft stehen ganz menschliche Gründe für das Lügen.
- Wir wollen höflich sein. Die beste Freundin zeigt uns stolz ihr neues Kleid. In KNALL-ROT. Doch Elffi steht rot überhaupt nicht. Und so flunkern wir auf die Frage: „Na, was sagst Du zu diesem Prachtstück?“ „Wow, sehr interessant.“
- Wir wollen bescheiden sein. In seiner Garage steht ein neuer Wagen und seine ganze Glückseligkeit. Blitzblank, glänzend und unser Traumauto. Und nun kommt der Tag der Tage und Anton muß Farbe vor seinen sogenannten Freunden bekennen und sein Traumauto zeigen. Anton sagt: „ Den habe ich sehr günstig bekommen. Das ist ein Vorführwagen.“ Was nicht stimmt. Er will bescheiden sein.
- Angst steht an erste Stelle, um lügen in Betracht zu ziehen. Wir schwindeln, notlügen und flunkern und das 200 mal am Tag, weil wir uns unwohl fühlen oder uns selbst an der Nase herumführen müssen. Und das machen wir nicht nur mit anderen Menschen, sondern in erster Linie mit uns selbst.
Das sagen Studien
Fast 60 Prozent der Deutschen lügen laut einer Studie täglich, meistens sogar dem anderen direkt ins Gesicht. Doch das viele Übertreiben und Beschönigen ist vielleicht gar nicht so schlimm – wir brauchen es sogar.
Meistens lügen Menschen aber aus sozialen Gründen. So sagen laut einer repräsentativen Umfrage aus dem letzten Jahr 49 Prozent der Deutschen die Unwahrheit, um andere aufzumuntern. Gut 37 Prozent gaben an zu lügen, um das Gegenüber zu schützen.
Klaus Fiedler, Professor für Sozialpsychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, bestätigt: „Höflichkeit und Taktgefühl spielen meistens eine Rolle dabei, wenn wir von der Wahrheit abweichen.“ Lügen sei in den meistens Fällen nicht eigennützig oder gar bösartig, sondern sozial motiviert. Und warum auch soll man der Oma sagen, dass man das Geburtstagsgeschenk schon dreimal hat, wenn man doch die Geste schätzt und sie nicht verletzen will? Wozu dem Arbeitskollegen ins Gesicht sagen, wie langweilig dessen Anekdoten aus dem Privatleben sind?
Lügen sind eine Art Schmieröl des menschlichen Zusammenlebens, ohne das es sowohl im Beruf als auch im Privatleben oft haken würde. Auch Kinder üben sich schon früh. Nur dass sie noch nicht so professionell sind und sich oft durch Blinzeln oder rot anlaufende Ohren verraten.
Erwachsene dagegen wissen, was ihre Glaubwürdigkeit beim Lügen erhöht – zum Beispiel der vermeintlich ehrliche Blick in die Augen – und können gegensteuern. In Berufen, in denen es täglich darauf ankommt, sich oder sein Produkt gut zu verkaufen, ist es sogar überlebenswichtig, dick auftragen zu können und es zugunsten des eigenen Vorteils mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau zu nehmen.
Abgesehen davon gibt es auch krankhafte Lügner, bei denen Art und Menge der Lügen ganz anders geartet sind. Laut dem österreichischen Psychologen Werner Stangl ist dieses Lügen oft Teil einer umfassenderen Persönlichkeitsstörung: „Man versucht im Leben beispielsweise eine Rolle zu spielen, die einem überhaupt nicht liegt und verfängt sich dann in einem Netzwerk von Halbwahrheiten und kleinen Lügen.“
Fiedler sieht trotzdem die negative Besetzung des Lügens insgesamt fehl am Platz: „Ich predige seit 20 Jahren, dass wir unsere Heuchelei und diesen moralischen Lügenbegriff aufgeben sollten. Damit werden wir dem Wesen des Lügens nicht gerecht.“
Er persönlich, so der Psychologe weiter, sei aber in den letzten Jahren immer mehr zum Wahrheitsfanatiker geworden. Seine Frau habe er noch kein einziges Mal belogen, auch nicht in jenen Grenzbereichen, in denen man es als harmloses Flunkern abtun könnte: „Das ist eine sehr schöne, befreiende Erfahrung. Ich kann nur jedem raten, es einmal auszuprobieren.“
Fazit: Blieben Sie bei sich und Ihrer Wahrheit und respektieren Sie die Wahrheit des anderen.