Da steht sie am Rande des Geschehens. Wie so oft beobachtet sie das Treiben der anderen und sieht ihnen beim Leben zu.

Heute ist es anders. Sie hat was zu sagen. Eigentlich. Doch wie so oft drängen sich die männlichen Artgenossen in den Vordergrund. Grölendes Lachen, sonore Stimmen und männliches Gehabe dominieren den Raum. „Gewohnt“, denkt sie. „Wie immer“ denkt sie. Und rafft ihre Röcke , setzt die Krone auf und schreitet zum Podest. Stolz mit hoch erhobenem Haupt erklimmt sie die viel zu hohen Stufen für eine Dame. „Männerstufen“, denkt sie. Auf dem Weg dorthin krachen ihre Absätze in die Zwischenräume des Bodenbelags. „Männerbodenbelag“, denkt sie. Oben am Gipfel ihrer Sehnsucht angekommen, steht sie nun am Pult. Soll ihre Rede halten. Ihre Entdeckung preisgeben. Doch das Pult ist viel zu hoch. Zu hoch, um zu stehen und gleichzeitig konzentriert lesen zu können. „Männerpult“ denkt sie. Auch denkt sie an ihre schönen mit Seide überzogenen Absätze ihrer neuen Schuhe. Wie dem auch sei. Hätte sie nur die Sportschuhe angezogen, wie Nadin ihr geraten hatte. Doch zu diesem Kleid?

Vor einiger Zeit machte sie eine Entdeckung. Ja, sie! Eine sensationelle Entdeckung wie junge Frauen mit Familie ihren Alltag traditionell gestalten können. Sie fragte Oma, Mama, Tanten und Schwiegermütter und verfasste eine Hausfrauenbibel mit ökologischen Tipps wie anno dazumal. Dafür bekam sie den Gründerpreis. Und heute soll sie über ihren Start-up reden. Über das reden, was sie in all den Jahren ihres Frauendaseins beobachtet hatte. Sie fragt sich: „Wieso habe gerade ich den Gründerpreis erhalten? So viel Spezies der männlichen Gattung sind angetreten. Viel männlicher und kompetenter als ich. Waren wohl einige Frauen in der Jury? Das wäre mir aufgefallen, denkt sie. „Was ist passiert? Fällt heute der Ostersonntag auf Weihnachten? Hier stehe ich nun, ich…“.

Beherzt greift sie um Mikrofon und nimmt ihr Gesprächskonzept in die Hand. Geht stolz die Stufen vom Podium nach unten und badet in der wartenden Menge. 100 000 Augenpaare sind auf sie gerichtet. Sie freuen sich sichtlich, den Vortrag über ihre Hausfrauenbibel zu hören. „Seltsam“, denkt sie und ergreift das Wort. Anfangs ist es ungewohnt, doch mit der Zeit und als sie eintauchen kann in ihr Thema, nimmt ihr Vortrag Fahrt auf. Und so begann alles.

Fortsetzung folgt